Sonntag, 20. September 2015

DER SPIEGEL: Germanwings-Copilot Andreas Lubitz nahm SSRI- Antidepressiva

In der SPIEGEL-Ausgabe vom 19.09.2015 wird darüber berichtet, dass in der Wohnung von Andreas Lubitz, dem Copiloten der Germanwings-Maschine 4U9525, die in den französischen Alpen zerschellte und 150 Menschen in den Tod riss, SSRI-Antidepressiva gefunden wurden. Es ist  von Escitalopram und Citalopram die Rede. 

Hat möglicherweise die Einnahme dieser Medikamente die Psyche des Copiloten  destabilisiert und den Suizid ausgelöst? Über diese Möglichkeit wurde auch schon in der Wissenschafts-Sendung nano vom 10.06.2015 diskutiert, in der auch über den Fall meiner Frau Monika berichtet wird:

Samstag, 19. September 2015

Todesfälle in der Zulassung verschleiert - Deutsche Aufsichtsbehörde sieht kein Fehlverhalten.


Diese Tage veröffentlicht die US-Ausgabe der Huffington Post eine Serie über die Vermarktungspraktiken des US Pharmaunternehmens Johnson & Johnson bei der Einführung des Medikamentes Risperdal (siehe HuffPost ).
Obwohl die US Aufsichtsbehörde FDA dem Unternehmen ausdrücklich untersagt hatte, damit zu werben, dass das Mittel bei dementen alten Menschen und bei schwererziehbaren Kindern wirksam ist, wurde es in Alten- und Kinderheime verabreicht und die zuständigen Ärzte korrumpiert.

Derartige Dinge sind auch in Deutschland passiert. Die folgende Story erzählt davon, dass
Staatsanwaltschaften und auch die deutsche Aufsichtsbehörde BfArM die Augen verschließen, wenn namhafte Pharmaunternehmen Risiken verschleiern und gegen Gesetze und Bestimmungen verstoßen. Was ich hierbei in den letzten 10 Jahren erlebt habe, ist wirklich unglaublich aber leider wahr. Staatsanwälte haben trotz Anzeige nicht ermittelt und Akten nicht rechtzeitig weitergereicht. Aufsichtsbehörden erklären sich nicht für zuständig und schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Und die Krone des ganzen sind Richter, von denen man sich üble Beschimpfungen gefallen lassen muss und als Querulant hingestellt wird, wenn man seine Rechte auf Informationsauskunft wahrnehmen möchte und einen Vergleich ablehnt.


Todesfälle in der Zulassung verschleiert - Deutsche Aufsichtsbehörde sieht kein Fehlverhalten.


Im letzten Jahr machte die deutsche Arzneimittelaufsichtsbehörde BfArM Schlagzeilen, als sie
die Zulassung von 80 Generika-Medikamenten ruhen ließ. Diese Medikamente durften fortan
nicht mehr von den Apotheken ausgegeben werden. Was war geschehen, das eine derart
drastische Maßnahme rechtfertigt? Dieser Schritt war notwendig geworden, nachdem
französische Aufsichtsbeamten bei einer Überprüfung von Studie des indischen
Auftragslabors GSK-Biosciense feststellten, dass massenhaft Studien von Generika gefälscht
wurden. Da die Sicherheit und Verträglichkeit der getesteten Mittel nicht mehr gewährleistet
werden konnte, blieb der Aufsichtsbehörde in Deutschland gar nichts anderes übrig, als die
fraglichen Medikamente aus dem Verkehr zu ziehen. Ansonsten hätte sie sich angreifbar
gemacht und ihre Aufsichtspflichten verletzt.

Doch was ist mit den vielen hundert Medikamenten, die bereits zugelassen und auf dem Markt
sind, wenn bei denen nachträglich gravierende Risiken bekannt werden oder sich herausstellt,
dass Risikodaten in den Zulassungsunterlagen auf beinahe kriminelle Weise manipuliert
wurden? Wenn derartige Versäumnisse der Aufsicht bekannt würden, würde man da nicht
auch erwarten können, dass die Zulassungen entsprechend überprüft und Risiken und Nutzen
unabhängig und neu bewertet werden?

Beispiel: SSRI Antidepressiva

Dass dies leider nicht so ist, und Medikamente trotz erheblicher Risiken und nur geringen
Nutzensweiter zugelassen sind, dafür lassen sich zahlreiche Beispiele angeben. Ein
gravierendes Beispiel hierzu sind die Antidepressiva, insbesondere die SSRI Antidepressiva.
Diese Medikamentengruppe , über die regelmäßig immer wieder in den Medien berichtet wird -
zuletzt nach dem Germanwings-Absturz- , steht schon seit deren Zulassung in den 80er und
90er Jahren in dem Verdacht, dass sie das Suizidrisiko bei Depressionen vergrößern und
Gewalttaten auslösen können. Als sich dieser Verdacht erhärtete und durch Gerichtsverfahren
und durch die öffentliche Berichterstattung der Druck zunahm, wurden 2005 die
Packungsbeilagen und Fachinformationen entsprechend geändert. Seitdem weisen sie darauf
hin, dass die SSRI Antidepressiva das Risiko suizidaler Handlungen bei Kindern, Jugendlichen
und jungen Erwachsen erhöhen können.


Da der Nutzen dieser Medikamente nach allgemeiner Erkenntnis jedoch nur gering ist - was
z.B. auch Prof. Löwer, der frühere Leiter der deutschen Aufsichtsbehörde BfArM in einem
Interview 2008 in den Tagestheme kleinlaut eingestehen musste, nachdem Studien dies belegt
haben- , stellt sich grundsätzlich die Frage, ob hier das Risiko-Nutzenverhältnis noch positiv
ist, oder ob die SSRI Antidepressiva nicht als bedenklich gelten müssen und denen somit die
Zulassung entzogen werden müsste. Doch eine Überprüfung des Nutzens und der Risiken hat
es in den letzten Jahren seit der Zulassung nicht gegeben. Dabei sollte das im Jahr 2004 neu
geschaffene IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) auch
den Nutzen der SSRIs überprüfen und hatte 2004 einen entsprechenden Auftrag vom
gemeinsamen Bundesausschuss erhalten. Doch dieser Auftrag wurde jahrelang zurück
gestellt bis er er im Jahr 2012 gänzlich aufgehoben wurde, da angeblich durch das neue
Arzneimittel-Neuordnunggesetz AMNOG die Rechtsgrundlage hierfür entfallen war. Auch eine
Petition von mir an den Bundestag zur Überprüfung der Risiken und des Nutzens vermochte
hieran nichts zu ändern. Da es der erklärte Wille der Großen Koalition war, was auch im
Koalitionsvertrag festgelegt wurde, dass sämtliche Medikamente, wenn sie einmal zugelassen
sind, nicht neu überprüft werden, wurde auch meine Petition zurückgewiesen.
Somit ist es fast nicht mehr möglich, dass zugelassene Medikamente ihre Zulassung verlieren
können, ganz gleich wie risikoreich und bedenklich sie in Wirklichkeit, was sich ja leider häufig
erst Jahre nach der Zulassung herausstellt, sind.

Was ist aber, wenn nachträglich herauskommt, dass die Risiken eines Medikamentes schon
bei der Zulassung dem Unternehmen bekannt oder zumindest erkennbar waren und durch
geschickte Datenmanipulation die Risiken verschleiert wurden? Was ist, wenn die Zulassung
durch Täuschung der Behörden erschlichen wurde und die Behörde Jahre später hiervon
Kenntnis erlangt? Müsste sie dann nicht handeln und das Medikament neu überprüfen? Ist
eine Zulassung auch dann noch rechtskräftig, wenn sie auf betrügerische Weise erlangt
wurde?

Im allgemeinen wird es fast nicht möglich sein, dies nachzuweisen, da nur das Unternehmen
und die Aufsichtsbehörde die Daten und Unterlagen kennen. Auch wenn es inzwischen ein
Auskunftsrecht gegen die Behörden nach dem Informationsfreiheitsgesetz gibt, so wird man
im Allgemeinen ohne konkrete Benennung der Unterlagen hierüber nichts erfahren.Man selbst
oder ein Angehöriger muss schon betroffen gewesen sein und einen Schaden durch ein
Medikament erlitten haben, erst dann hat man eine Chance. Ich selbst hatte zweimal die
Gelegenheit der Einsichtnahme in die Zulassungsakten und Studien zu dem Antidepressivum
Zoloft bei der Aufsichtsbehörde. Meine Frau hatte sich 2005 das Leben genommen, während
sie in ärztlichen Behandlung war und das Antidepressivum Zoloft erhielt. Da der Verdacht
bestand, dass der Suizid durch das Medikament ausgelöst wurde, wollte ich von der
deutschen Aufsicht wissen, warum sie nichts unternommen hatte, um auf dieses Risiko
hinzuweisen. Denn die Packungsbeilage enthielt damals Anfang 2005 keinen Warnhinweis
zum Suozidrisiko. Jedoch ein halbes Jahr zuvor hatte die amerikanische FDA einen
"Black-Box"-Warnhinweis zum Suizidrisiko für alle SSRI Antidepressiva verbindlich
vorgeschrieben. In Deutschland dauerte es über ein Jahr, bis auch hier diese Warnhinweise
vorgeschrieben wurden.

Hat hier die Aufsicht in Deutschland und Europa versagt? Und wie hat
sie sich im nachhinein verhalten? Etwas über ein halbes Jahr nach dem Tod meiner Frau
erfuhr ich eher beiläufig, dass aufgrund einer Entscheidung der Europäischen Kommission
vom 19.98.2005 auch in Europa Warnhinweise in der Fachinformation und Packungsbeilage
zun Suizidrisiko vorgeschrieben wurden. Jedoch hat weder die europäische noch die deutsche
Aufsichtsbehörde die Öffentlichkeit hierüber in einer Pressemitteilung oder ähnliches
informiert. Auch die Ärzte wurden nicht hiervon in Kenntnis gesetzt, z.B. durch einen Rote
Hand Brief. Ist dies eine transparente Informationspolitik zum Schutze der Bürger?

Zweite Akteneinsicht

Bei meiner zweiten Akteneinsicht im November 2013 stießen wir auf eine umfangreiche Liste
mit schweren Nebenwirkungen aus klinischen Studien aus Pfizers interner Datenbank, die
zusammen mit dem Zulassungsantrag für Zoloft beim BfArM eingereicht wurden. Da sie zu
umfangreich war, um sie an Ort und Stelle auswerten zu können ließen wir, d.h. Herr Prof.
Müller-Oerlinghausen von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und deren
früherer Vorsitzender, mein Anwalt, der Bruder meiner verstorbenen Frau und ihre Tochter, uns
von den Listen Kopien anfertigen.

Im Frühjahr 2014 erhielt ich die Kopien und machte mich auch sogleich daran, die Listen elektronisch zu erfassen um sie mit den Angaben aus dem
Zulassungsgutachten vergleichen zu können. Obwohl ich zuvor bei der ersten Einsicht schon
einiges gesehen hatte, was auf Unregelmäßigkeiten bei der Zulassung von Zoloft hingedeutet
hatte, hätte ich nicht erwartet, das ich da zu sehen bekam. Denn die absoluten Anzahlen zu
Suiziden, Suizidversuchen und Fälle von Suizidalität in klinischen Studien unter Zoloft
übertrafen die Angaben in dem Zulassungsgutachten und in der Bewertung des Szizidrisikos
durch das pharmazeutische Unternehmen Pfizer um ein vielfaches.

Obwohl das Zulassungsgutachten wie auch die Bewertung im Zulassungsantrag sich ebenfalls wie die Angaben auf der internen Liste auf die bis zum 01.09.1993 durchgeführten klinischen Studien
bezogen, war die Anzahl der Nebenwirkungen zum Suizidrisiko unter Zoloft in der Datenbank
zehnmal so groß. Wie konnten die gravierenden Differenzen von der Aufsichtsbehörde
übersehen worden sein? Oder hat man die Angaben des vom pharmazeutischen Unternehmen
beauftragten Gutachter gar nicht überprüft? Ein einfacher Vergleich mit den Anzahlen in den
Listen mit dem Gutachten hätte die Aufsicht doch stutzig machen müsse? Oder gab es hierfür
eine einfache und einleuchtende Erklärung , warum ca. 100 Fälle in den Angaben im Gutachten
und des Unternehmen fehlen?

Im Frühjahr 2014 habe ich die Aufsichtsbehörde um eine
Erklärung hierzu gebeten. Meine Anfrage wurde sogleich an das pharmazeutische
Unternehmen weitergeleitet. Nachdem eine erste Frist um drei Monate verlängert wurde,
erhielt die Aufsichtsbehörde Anfang Oktober 2014 eine Stellungnahme von der vom
Unternehmen beauftragten Kanzlei. Nach mehreren Monaten wurde mir nach Anfrage von der
Behörde das Ergebnis der eigenen Bewertung der Stellungnahme des Unternehmens
mitgeteilt.

Erklärung der Aufsichtsbehörde BfArM

Die Differenzen zu den Anzahlen wurden damit erklärt, dass in der internen
Datenbank ja nicht nur die Vorfälle aus klinischen Studien sondern auch die Meldungen zu
schweren Nebenwirkungen außerhalb klinischer Studien umfassen würden, das Gutachten
und die Bewertung durch das Unternehmen sich aber nur auf klinische Studien beziehen
würden. Daher wären die Anzahlen zu schweren Nebenwirkungen zum Suizidrisiko in der
internen Datenbank um das 10 fache größer als im Gutachten und in der Bewertung des
Unternehmens. Also alles ganz einfach und plausibel? Habe ich vielleicht etwas übersehen
und einfach alles zusammengezählt und nicht entsprechend unterschieden? Da meine
Anfrage inzwischen mehr als ein halbes Jahr der Aufsichtsbehörde vorlag und sie somit
genügend Zeit hatte, sowohl die von mir eingereichten Anlagen zu meiner Anfrage zu prüfen
wie auch die Erklärung des Unternehmens, wäre dies nicht auszuschließen.

Aber leider war die scheinbare Erklärung, die ich von der Behörde bekam, völliger Unsinn. Man gewinnt den Eindruck, dass auch von detz Aufsicht bewusst die Unwahrheit gesagt wird. Sie macht sich damit zum Komplizen skrupelloser Pharmamanager. Denn bei nur oberflächlicher Prüfung wär
nicht zu übersehen gewesen, dass die Übersicht aus der internen Datenbank mit ca. 150
schweren Nebenwirkungen zum Suizidrisiko unter Zoloft sich ausschließlich auf klinische
Studien bezogen haben. Auch in meiner Anfrage habe ich dies sehr deutlich gemacht. Wie
man dies missverstehen konnte, ist mir unverständlich. Entweder wurde nicht richtig geprüft,
oder - was ich eher annehme- man hat bewusst und wissentlich eine falsche Erklärung
abgegeben.

Erklärung des Unternehmnens Pfizer zu den unterschiedlichen Anzahlen

Ich hatte daher wissen wollen, was in der ursprünglichen Stellungnahme des
Anwalts des Unternehmens tatsächlich gestanden hat und eine Kopie hiervon angefordert.
Nach mehreren Wochen wurde die mir im April diesen Jahres zugeschickt. Was ich da las war
wahrlich unglaublich. Die Diskrepanz der Daten wurde nicht damit begründet - wie die
Aufsichtsbehörde es dargestellt hatte- dass die interne Datendank zu Zoloft auch Fälle
erfassen würde, die sich nicht in klinischen Studien ereignet haben, sondern, dass nur die Fälle
aus den klinischen Studien gewertet wurden, bei denen nach Ansicht der Prüfärzte
möglicherweise ein Kausalzusammenhang mit dem Zoloft bestand.

Mit anderen Worten: Wenn nach Ansicht des Arztes, der die Studie für das Prüfinstitut überwacht hat, das wiederum vom pharmazeutischen Unternehmen hiermit beauftragt wurde und hierfür bezahlt wird, der Ansicht war, dass es andere Gründe oder Umstände für die Nebenwirkung eines
Suizidversuches gibt, die nicht dem Medikament zuzurechnen sind, dann wurde diese
Nebenwirkung auch nicht bei der Bewertung des Suizidrisikos - also insbesondere bei der
Frage einer möglichen Kausalität- berücksichtigt. Warum braucht man dann überhaupt noch
klinische Studien, um die kausalen Ursachen für eine bestimmte Nebenwirkung zu
untersuchen, wenn doch der Arzt das schon vorher weiß? Was ist dann noch eine Studie oder
Zulassung wert, wenn schwerwiegende Nebenwirkungen so mir nichts dir nichts weggelassen
werden können?

Für die Aufsichtsbehörde in Deutschland ist dies alles kein Problem: Da die
Tabellen irgendwo in den 70 Ordnern verborgen waren, die bei der Zulassung einreicht wurden,
konnten die ja auch bei der "Entscheidung der Behörde über die Zulassung Berücksichtigung
finden. Dem Unternehmen sei daher kein Fehlverhalten vorzuwerfen." Mit anderen Worten:
Wenn die Aufsicht zu blöd war, diese Daten zu finden, wo doch darauf verwiesen wurde, dann
ist nicht das Unternehmen sondern die Aufsicht selbst schuld.


Ich frage mich, worin besteht eigentlich die Aufgabe einer Aufsichtsbehörde? Nur die
Zulassungsanträge zu verwalten und abzulegen oder wird auch schon mal nachgeschaut und
überprüft, ob sich die Aussagen des Unternehmens mit den vollständigen Daten decken? Und
was unternimmt die Behörde, wenn ein derartiger Schwindel auffliegt? Wie üblich nichts! Man
wartet einfach ab, bis sich der Rauch der Aufregung gelegt hat. Für die ist der Fall damit
erledigt. Für die vielen tausend Menschen, die diese Medikamente Tag für Tag einnehmen,
leider nicht.

Freitag, 18. September 2015

Studie 329: Re-Analyse bezweifelt Effektivität und Sicherheit von SSRI für Jugendliche


Deutsches Ärzteblatt

Studie 329: Re-Analyse bezweifelt Effektivität und Sicherheit von SSRI für Jugendliche

Donnerstag, 17. September 2015

Adelaide – Die Re-Analyse einer zunächst einflussreichen und dann zunehmend kontroversen Studie zum Einsatz des Serotonin-Wiederaufnahmehemmers (SSRI) Paroxetin bei Jugendlichen mit Major-Depression kommt im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2015; 351: h4320) zu einer ganz anderen Einschätzung zur Effektivität und Sicherheit des Antidepressivums als die Originalpublikation.
Die randomisierte Studie 329 hatte zwischen 1994 und 1998 an 275 Jugendlichen (Alter 12 bis 18 Jahre) mit Major-Depression die Effektivität und Sicherheit des damals noch neuen SSRI Paroxetin mit dem älteren trizyklischen Antidepressivum Imipramin und mit Placebo verglichen. Die Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen des Herstellers SmithKline Beecham zurück. Paroxetin war nicht effektiver als Imipramin, und der Unterschied zum Placebo-Arm war minimal. Die Verträglichkeit von Paroxetin war erfahrungsgemäß besser als bei Imipramin.

Doch bei elf von 93 Patienten im Paroxetin-Arm (versus 2 von 87 im Placebo-Arm) war es zu schweren psychiatrischen Ereignissen gekommen, die häufig eine Hospitalisierung erforderlich machten. Darunter waren fünf Patienten, bei denen die Prüfärzte suizidale Gedanken oder Gestiken bemerkt hatten, und zwei Patienten waren in der Schule durch aggressives Verhalten aufgefallen. Zwei weitere Patienten erlitten eine Verschlechterung der Depression, einer entwickelte eine euphorische Stimmungslage. Der elfte Patient litt unter der Therapie mit Paroxetin unter schweren Kopfschmerzen.
Wie später bekannt gewordene Dokumente zeigen, verzichtete SmithKline Beecham (auch wegen schlechter Ergebnisse in einer zweiten Studie) darauf, bei der US-Arzneibehörde FDA die angestrebte Erweiterung der Zulassung auf Jugendliche zu beantragen. Ein weiterer Rückschlag war, dass das amerikanische Ärzteblatt JAMA 1999 die Publikation der Studie 329 ablehnte. Sie wurde schließlich 2001 im Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry (JAACAP) veröffentlicht, allerdings in einer veränderten Version.
Der Hersteller hatte eine PR-Firma mit einer Überarbeitung des Manuskripts beauftragt, offenbar um den Ergebnissen den richtigen „Dreh“ zu geben. Der Ghostwriter der Firma deutete die Suizidalität als „emotionale Labilität“ und die Aggressivität als „Verhaltens­störung“. Ein Zusammenhang mit der Medikation wurde nicht hergestellt. Die Verschlech­terung der Depression und die Euphorie ließen sich als Therapieversagen deuten. Am Ende blieb es statt bei elf nur bei einem schweren psychiatrischen Ereignis (den Kopfschmerzen). Im Abstract der Publikation wurde Paroxetin als „im allgemeinen gut verträglich und wirksam“ bezeichnet.

SmithKline Beecham und später GlaxoSmithKline (GSK) nutzen die Daten der Studie, um Kinderpsychiater vom Nutzen von Paroxetin zu überzeugen und sie zu einer Off-Label-Verordnung zu veranlassen. Die Kampagne war erfolgreich. In den Jahren 2002 und 2003 stieg die Zahl der Verordnungen von Paroxetin an Teenager um 36 Prozent an. Dies rief schließlich die New Yorker Staatsanwaltschaft auf den Plan. Ihrer Ansicht nach verstieß der Hersteller gegen ein Werbeverbot, das in den USA strengen Regeln unterliegt. Übertritte werden mit hohen Bußen geahndet.
Mach einem langjährigen Verfahren zahlte GSK 2012 in einem Vergleich insgesamt 3 Milliarden US-Dollar an Strafgeldern. Die Manipulationen hatten 2003 – nach einem Bericht der BBC-Sendung Panorama – auch die britische Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency (MHRA) und die US-Arzneibehörde alarmiert. Die MHRA bezweifelte, dass Paroxetin bei Jugendlichen eine Wirkung hat. Die FDA warnte in der Folge mehrmals vor dem Suizidrisiko unter Paroxetin (und später auch anderer SSRI) bei jüngeren Patienten. Vom Einsatz von SSRI bei Jugendlichen wird heute allgemein abgeraten.
Obwohl die Studie 329 diskreditiert sein dürfte und ihre Ergebnisse keinen Einfluss auf Leitlinien und (positive) Therapie-Entscheidungen haben (sollten), hat eine Gruppe um Jon Jureidini von der Universität von Adelaide jetzt eine Re-Analyse der Studie vorgelegt. Sie folgen damit einem Aufruf von Peter Doshi, einem stellvertretenden Herausgeber des British Medical Journals (BMJ), der vor zwei Jahren das Projekt RIAT („restoring invisible and abandoned trials”) ins Leben gerufen hat, zu deren Früchten die jetzt im BMJ veröffentlichte Re-Analyse der Studie 329 gehört.

Der Hersteller GSK, der weiterhin auf der Seriosität der damaligen Publikation besteht, hat sich – offenbar nach anfänglichem Zögern – bereit erklärt, den Forschern die Prüfberichte aller 275 Patienten zur Verfügung zu stellen. Die etwa 77.000 Seiten haben dann die Ressourcen der Forscher doch überfordert. Die angestrebte genaue Prüfung war ihnen nur bei 93 Prüfberichten möglich.

Die Re-Analyse zur Wirksamkeit ergab im Gegensatz zur Orginalpublikation, dass Paroxetin weder im Rückgang der Hamilton Depression Scale (HAM D) noch im Anteil der Responder eine bessere Wirkung erzielte als Imipramin oder Placebo. Der Anteil der Nebenwirkungen war in den 93 detailliert untersuchten Prüfberichten höher als in der Originalpublikation. Dies traf jedoch nicht nur für Paroxetin (plus 14 Prozent) zu, sondern auch für Imipramin (plus 7 Prozent) und für Placebo (plus 13 Prozent).

Die Zahl der Patienten mit suizidalem Verhalten oder Gedanken stieg von fünf in der Original­publikation auf sieben. Hinzu kommen noch einmal vier Fälle, die in der Ausschleichphase auftraten. Die Gruppe um Jureidini moniert darüber hinaus noch einige andere Punkte, die zu einer verzerrten Darstellung der Ergebnisse führen könnten.

Insgesamt hat das Team keine groben Verstöße gegen die Regeln klinischer Studien gefunden, was bei einer korrekten Verblindung auch nicht zu erwarten ist. Ob sich die Mühen gelohnt haben, bleibt abzuwarten. Ein – nicht offen ausgesprochenes – Ziel der Publikation scheint es zu sein, die American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, den Herausgeber des JAACAP, zur Rücknahme der Publikation zu bewegen.
Dieses Ansinnen hat die medizinische Fachgesellschaft jedoch stets zurückgewiesen. Auch für die Gruppe von 22 Autoren um Martin Keller von der Brown University in Providence, Rhode Island hat die Diskussion um die Studie 329 keine beruflichen Konsequenzen gehabt.